Die Gemeinschaftsschule ist die "Schule des Bildungsaufstiegs" - Interview der Schwäpo mit unserem Schulleiter Dr. Bernd Kinzl

Quelle: Schwäpo vom 02.12.2024

Interview 
Seit dem ersten Tag gibt es Kritik am Modell der Gemeinschaftsschulen. Dabei kommt das Bildungskonzept bei vielen Schülern und Eltern gut an, weiß Dr. Bernd Kinzl. Das Montagsinterview mit dem Schulleiter der Parkschule Essingen.
Von Jan Sigel

In Baden-Württemberg gibt es über 300 Gemeinschaftsschulen. Eine davon steht in Essingen: die Parkschule. Seit Jahren erlebt das noch relativ neue Schulkonzept allerdings viel Gegenwind. Im Interview spricht Schulleiter Dr. Bernd Kinzl über das Konzept Gemeinschaftsschule und die Kritik daran. Aber auch über den Lehrkräftemangel und darüber, ob er sich heute noch einmal für den Beruf des Lehrers entscheiden würde.

Herr Kinzl, wie läuft es aktuell an der Parkschule?

Bernd Kinzl: Es läuft gut bei uns. Vor allem in den vergangenen drei Jahren hatten wir enormen Zulauf. Aus einer zweizügigen Schule ist inzwischen eine drei- bis vierzügige Schule geworden – sowohl im Grundschulbereich als auch in den Klassen fünf bis sieben.

Was bedeutet das in Schülerzahlen? Wie viele Schüler besuchen aktuell die Parkschule?

Wir haben aktuell 580 Schüler, davon sind 350 in der Sekundarstufe – 55 Prozent der Schüler in der Sekundarstufe kommen dabei nicht aus Essingen.

Wenn eine Schule so wächst wie die Parkschule, hat das doch Auswirkungen, oder?

Natürlich. Man braucht jedes Jahr zusätzliches Personal. Aber auch jedes Jahr neue Ausstattung, also neue und moderne Klassenzimmer – hier werden wir aber von der Gemeinde Essingen sehr gut unterstützt.

Wieso funktioniert das Modell Gemeinschaftsschule in Essingen? Andernorts, wie zum Beispiel in Heubach, dagegen eher weniger?

Einerseits ist das eine gewisse Eigendynamik. Wenn eine Schule einen guten Ruf hat, dann kommen natürlich auch die Schüler. Anderseits tun sich Schulen schwerer, wenn es in der Nachbarschaft eine Realschule oder ein Gymnasium gibt. Dann wird die Gemeinschaftsschule eher als Fortführung der Hauptschule gesehen – das ist aber nicht der Fall. Im Heubacher Fall kann ich nur vermuten, dass es dort einfach zu viele Schulen auf zu engem Raum gibt. Aus meiner Sicht gibt es dort eine Sekundarstufe zu viel.

Und warum funktioniert das Konzept gerade in Essingen?

Wir haben eine gute Durchmischung bei den Schülern. Sprich, wir haben viele leistungsstärkere Schüler, die auf gymnasialem oder Realschulniveau arbeiten – das können nicht alle Gemeinschaftsschulen von sich behaupten. Zudem haben wir ein aktives und attraktives Schulleben durch hohes Engagement von Lehrern und Schülern sowie Kooperationspartnern.

Wie wird die Schulart Gemeinschaftsschule im Allgemeinen angenommen?

Landesweit ist die Akzeptanz der Gemeinschaftschulen in den letzten Jahren sehr stabil. Wir haben mittlerweile 13 Prozent an Schülern, die von der vierten Klasse an die Gemeinschaftschulen überwechseln. Ich denke, für die Gemeinschaftsschule spricht einfach eine zeitgemäße Didaktik und Pädagogik. Die Klassengröße beträgt im Schnitt 21 Schüler – also vier weniger als an Realschulen oder Gymnasien.

Das klingt so, als habe sich das zu Beginn stark umstrittene Modell mittlerweile etabliert?

An vielen Standorten: Ja. Es hängt aber ein bisschen ab von der regionalen Etablierung und der Haltung des Kollegiums und des Umfelds – all das ist entscheidend, ob eine Gemeinschaftsschule Erfolg hat oder nicht. Und natürlich hängt es auch davon ab, wie gesagt, ob sie in der Nachbarschaft Konkurrenzschulen haben. Vor allem wenn es eine Realschule und eine Realschule im Verbund in der näheren Umgebung gibt, gehen weiterhin viele leistungsstärkere Schüler traditionell lieber auf die Realschule. Und auch Gymnasien sind weiterhin sehr attraktiv.

Das Modell Gemeinschaftsschule hat von Beginn an viel Kritik einstecken müssen. Wie sieht es diesbezüglich heute aus?

Eltern waren und sind oft skeptisch, ob Kinder ohne den Leistungsdruck überhaupt lernen. In der Grundschule gibt es zum Beispiel noch Noten, an den Gemeinschaftsschulen nur auf Elternwunsch. Auch ein Sitzenbleiben gibt es bei uns nicht. Viele Eltern haben daher die Befürchtung, dass die Kinder daher nur den einfachsten Weg gehen und nur das grundlegende Niveau bearbeiten. Doch wir beobachten eher das genaue Gegenteil.

Inwiefern?

Kinder wollen auch einmal zeigen, dass sie etwas leisten können. Das ist wie ein Aufstieg im Fußball. Wenn Kinder selbstständig ein höheres Niveau schaffen, dann sind sie einfach stolz.

Das heißt, Kinder an einer Gemeinschaftsschule können ihren Lernplan in gewisser Weise selber gestalten?

Ja, genau. Das Lernen enthält eine große Selbstbestimmung. Es gibt Begleitstudien zur Einführung der Gemeinschaftsschulen, in denen man herausgefunden hat, dass Kinder, die eine Gemeinschaftsschule besucht haben, eine höhere intrinsische Motivation entwickeln, also dass sie von sich selbst aus viel motivierter sind.

Was für Rückmeldungen erhalten Sie denn von Eltern zum Schulmodell Gemeinschaftsschule?

Ich bekomme sehr viel positive Rückmeldungen. Manche Eltern sind geradezu begeistert vom pädagogischen Konzept an der Parkschule. Sie finden es zum Beispiel gut, dass wir uns an den Stärken der Kinder orientieren und die Talente entsprechend fördern. Natürlich gibt es aber auch bei uns den einen oder anderen Schulwechsel. Doch das liegt dann meistens nicht am Schulkonzept, sondern eher daran, dass ein Freund die Schule gewechselt hat, oder am zeitlichen Aufwand.

Nun gibt es Kritiker, die meinen, dass Schüler von leistungsschwächeren Kindern an den Gemeinschaftsschulen „runtergezogen“ werden. Was sagen Sie dazu?

Das ist aus unserer Beobachtung nur sehr selten der Fall. Die meisten Kinder wollen vielmehr zeigen, dass sie etwas leisten können. Zudem gibt es an Gemeinschaftsschulen den Lernbegleiter, der die Schüler coacht, ihnen Feedback gibt und sie motiviert. Daher ist diese Sorge eher unbegründet. Es gibt aber ein anderes, generelles Problem.

Das da wäre?

Landesweit gibt es viele Gemeinschaftsschulen, in denen die Durchmischung nicht gut genug ist. Das heißt, sie haben einen zu geringen Anteil an leistungsstärkeren Schülern, die andere mitziehen. Aus der Forschung weiß man aber, dass man mindestens 15 Prozent leistungsstärkere Schüler brauchen, ansonsten hat man eigentlich nur eine Hauptschulklasse.

Seit Kurzem gibt es wieder eine verbindliche Grundschulempfehlung. Wie stehen Sie dazu?

Ich finde den Schritt zurück zu einer gewissen Verbindlichkeit eine gute Sache. Weil man mittlerweile einfach weiß, dass es auf Gymnasien hin und wieder Schüler gab und gibt, die sehr schnell überfordert waren.

Wären gerade solche Schüler dann besser auf eine Gemeinschaftsschule aufgehoben?

Ja. Über die Gemeinschaftsschule sagt man ja, dass es die Schule des Bildungsaufstiegs ist. Weil – und das erleben wir auch – nur ein sehr geringer Teil den Hauptschulabschluss, dafür aber ein großer Teil den Realschulabschluss macht. Und wir haben auch noch einen kleinen Anteil, der den gymnasialen Übergang absolvieren.

Ist die Gemeinschaftsschule ein Zukunftsmodell?

Was die Didaktik betrifft, also gerade das selbstständige Lernen, glaube ich ja. Ebenso so mancher pädagogische Eckpfeiler der Gemeinschaftsschulen, zum Beispiel das niveaudifferenzierte Lernen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das auch an anderen Schulen mehr und mehr kommen wird. Aber ob die Gemeinschaftsschule als Schulart in 20 Jahren noch existiert, das weiß ich nicht.

In Baden-Württemberg stehen 2026 Landtagswahlen an: Was würde ein Regierungswechsel für das Modell Gemeinschaftsschule bedeuten?

Ich hoffe, dass nicht aufgrund ideologischer Gründe Ressourcen für Gemeinschaftsschulen reduziert werden. Aber ich beobachte, dass auch in dem traditionell kritischeren, konservativen Lager wahrgenommen wird, was an den Gemeinschaftsschulen geleistet wird. Eine Gefahr, dass das Schulmodell von heute auf morgen wieder abgeschafft wird, sehe ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass nachjustiert und weniger reformiert wird.

Immer mehr Lehrer scheiden vor dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem Schuldienst aus. Gleichzeitig fehlt es an Nachwuchs. Woran liegt das?

Das betrifft alle Schularten, nicht nur die Gemeinschaftsschulen. Überall hat die Belastung im Berufsalltag zugenommen. Gesellschaftliche Veränderungen sind in den Schulen sofort spürbar. Viele Lehrer fühlen sich davon überfordert. Migration, Sprachfrühforderung, Inklusion, Einfluss der digitalen Medien, veränderte Familienstrukturen und, und, und. Hinzu kommt, dass Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen aufgrund der heterogeneren Klassen einer höher Belastung ausgesetzt sind.

Wie könnten mehr junge Erwachsene für den Beruf des Lehrers begeistert werden?

Es gibt wenige Berufe, die so abwechslungsreich und sinnstiftend sind wie der Lehrerberuf. Der Lehrerberuf hat meines Erachtens aber nichts mit mangelnder Attraktivität oder schlechter Bezahlung zu tun. Vielmehr muss das Image des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit wieder besser werden.

Wieso sind Sie damals Lehrer geworden?

Ich habe relativ früh herausgefunden, dass es mir Freude macht, anderen etwas zu erklären. Das ging mit Nachhilfe für meine Schwester los. Später im Studium haben mich dann die Themen Psychologie und Pädagogik fasziniert und mich immer weiter angetrieben. Ebenso die Freude darüber, mit Kindern arbeiten zu können.

Würden Sie sich heute nochmals für den Beruf des Lehrers entscheiden?

Aus voller Überzeugung, ja. Der Beruf macht mir einfach wirklich sehr viel Freude.

Zur Person
Dr. Bernd Kinzl

Dr. Bernd Kinzl (51) ist seit September 2020 Schulleiter der Parkschule in Essingen. Bevor er sich jedoch für den Beruf des Lehrers entschieden hatte, absolvierte er zunächst eine Banklehre. Erst danach schrieb sich Kinzl an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd ein, um dort Grund- und Hauptschullehramt zu studieren – seine Fächer: Deutsch, Anfangsunterricht sowie Sachunterricht mit Schwerpunkt Geografie. Bis zu seinem Wechsel an die Parkschule arbeitete Kinzl an der Kocherburgschule in Unterkochen sowie am Seminar für Didaktik und Ausbildung in Schwäbisch Gmünd. Kinzl lebt in Aalen, ist verheiratet und ist Vater von zwei Kindern.